... Durch eben diese eitle Einbildung macht er [der Mensch] sich Gott gleich, legt sich göttliche Eigenschaften bei, sondert sich selbst von dem Haufen der andern Geschöpfe ab, schneidet den Tieren, seinen Mitbrüdern und Gesellen ihren Teil zu, und gibt ihnen so viel Vermögen und Kräfte, als ihm gutdünckt. Wie, erkennt er denn durch die Stärke seines Verstandes die innerlichen und verborgenen Regungen der Tiere? Aus was für einer Vergleichung zwischen uns und ihnen folgert er dann die Dummheit, die er ihnen beilegt? Wer weiß, wenn ich mit meiner Katze spiele, ob sie sich die Zeit nicht mehr mit mir vertreibt, als ich mir dieselbe mit ihr vertreibe? Wir treiben wechselweise mit einander Possen. Gleichwie ich nach Gefallen anfangen oder aufhören kann: so kann sie es auch.
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Kann eine Polizei ordentlicher eingerichtet sein, mehr verschiedene Ämter und Bedienungen haben, und beständiger unterhalten werden, als diejenige, die unter den Bienen ist? Können wir uns einbilden, dass diese so ordentliche Einteilung der Arbeiten und Verrichtungen, ohne Vernunft und ohne Klugheit gemacht werden, könne?
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Der Mensch, sprechen sie, ist das einzige verlassene Tier, das auf der bloßen Erde bloß, gebunden, und gefesselt liegt, und sich mit nichts bewaffnen und bedecken kann, als mit dem was es andern Tieren auszieht.
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Unsere Haut schützt eben so gut, als die Haut der Tiere, vor der rauen Witterung; wie viele Völker bezeugen, die noch bis jetzt keine Kleider tragen.
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Wer zweifelt daran, dass ein Kind, wenn es die Kräfte sich zu ernähren erlangt hat, nicht auch seine Nahrung zu suchen wissen sollte? Die Erde bringt sie hervor, und bietet sie ihm auch ungebaut, und ohne Zutun der Kunst, so viel es zur Notdurft braucht, reichlich dar. Geschieht dieses gleich nicht zu jeder Zeit: so geht es doch auch bei den Tieren nicht anders; wie der Vorrat zeigt, welchen wir die Ameisen und andere Tiere auf die unfruchtbaren Jahreszeiten sammeln sehen.
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Was die Waffen anbelangt: so haben wir deren mehrere von der Natur bekommen, als die meisten andern Tiere. Wir können unsere Gliedmassen verschiedentlicher bewegen, und brauchen dieselben von Natur und ohne Anweisung besser als sie. Man sieht dass diejenigen, die nackt zu kämpfen gewohnt sind, sich in eben so große Gefahr wagen, als andere. Wenn einige Tiere hierinnen einen Vorzug vor uns haben: so haben wir wiederum einen Vorzug vor vielen andern. So gar die Begierde unsern Leib stark zu machen, und durch fremde Hilfe zu bedecken, kommt von einem natürlichen Triebe und Gebote her. Der Elefant schleift seine Zähne, deren er sich im Kriege bedient: denn, er hat besondere Zähne hiezu, die er schont, und sonst zu nichts gebraucht. Die Stiere streuen und werfen, wenn sie an den Kampf gehen, Staub um sich herum.
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Man muß den Menschen zwingen, und in den Schranken dieser Ordnung halten. Das elende Geschöpf kann dieselben zwar ohnedem nicht wirklich überschreiten. Es ist eben so gut gespannt und gefesselt, und eben so gebunden, als die übrigen Geschöpfe von seiner Ordnung, und befindet sich in einem sehr mittelmäßigen Stande, ohne alle Vorrechte, und ohne einige wahre und wesentliche Vorzüge. Die vermeinten und eingebildeten Vorzüge, die es sich selbst beilegt, sind erdichtet und abgeschmackt.

Michel de Montaigne- Essais II Versuche, Zweites Buch (1580) Übersetzung: J. D. Tietz, 1753/54

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